Vergleichende Studien zur Entwicklung der Kuroi Darstellung aus anatomischer Sicht
Eine Studie von Dr. Hans Joachim Köhler
An 5 Beispielen wird versucht die Charakteristika des Vorläufers der Fortschritte im Erkennen und Begreifen der Anatomie des Menschen aufzuzeigen - unabhängig von stilistischen Tendenzen und landschaftsbedingten möglichen zeitlichen Entwicklungsunterschieden. zurück zur startseiteGewählt werden die Standbilder von:
5.Kritiosknabe Höhe: 0,86 m ca. 477 vor Chr. Athen, Akropolismuseum 698
Bei der anatomischen Betrachtung der Entwicklung der Kuroi beginne ich mit der Statik der Bildwerke. Die Standbilder haben eine einheitliche gleichbleibende Schrittposition mit vorgestelltem linken Bein, die noch keine Bewegung darstellt. Es ist die sogenannte verhaltene Schrittposition, bei der beide Beine gleich belastet, beide Füße plan aufgesetzt sind und der ganze Körper auf dem Becken, bzw. im Beckenraum gleichgewichtet ruht. Die im Stand eintretende, bzw. vorhandene Beckenkippung ist bei den Standbildern nicht nachvollziehbar. Die Belastungslinie verläuft medial. Ihre senkrechte Achse geht über Nase, Kinnmitte, Halsgrube, Brustbein (bzw. die dieses andeutende Rinne), weiter zur Linea alba, Bauchnabel und Penis. Diese Linie ist weiter zu denken lotrecht zwischen beide Beine zum Fersenrand des vorgestellten linken Fußes und zur Zehenbasis bzw. den Zehenspitzen des zurückgesetzten rechten Beines.
Es herrscht eine absolute Stabilität. Diese wird noch unterstützt durch die an den Körperseiten gestreckt oder leicht gebeugt mehr oder weniger eng neben dem Rumpf hängenden Armen und durch die den Oberschenkeln anliegenden Hände.
Die nur andeutungsweise vorhandene Zurücknahme der rechten Schulter und geringe Gewichtsverlagerung auf das rechte zurückgenommene Bein kann auf die Statik bezogen vernachlässigt werden.
Der Schwerpunkt des Körpers liegt in der Bauchmitte. Diese Mitte stellt beim Kuros von New York der Bauchnabel dar, der nahezu im Mittelpunkt zwischen Xiphoid (Schwertfortsatz des Brustbeins) und Symphyse (Schambeinfuge) liegt. Beim Kuros von Sounion ist der Bauchnabel viel tiefer angelegt, etwa in Beckenkammhöhe. Der Schwerpunkt aber befindet sich deutlich über dem Nabel in Höhe der 3. Inscription (Zwischensehne) des geraden Bauchmuskels, also auch in Bauchmitte. Beim Kuros von Melos liegt der Nabel ebenfalls mehr im Unterbauchbereich, aber der Schwerpunkt verlagert sich weiter aufwärts in den sehr hohen schmalen Oberbauch noch höher über den Bauchnabel zur vierten der fünf Inscriptionen. Dieser hohe schmale Oberbauch wird beim Kuros von Melos hervorgerufen durch die Steilheit und Länge des Rippenbogens, dessen Winkel nur ca. 40 beträgt. Es bestehen hier fünf Inscriptionen, deren fünfte den Nabel durchschneidet. - Beim Kroisos aus Anavyssos geht der Schwerpunkt wieder durch die Bauchmitte, etwa der Kreuzung der Linea alba (weißer Sehnenstreifen in der Mittellinie des Bauches) mit der 2. Inscription. Diese Linie liegt zwischen unterem Brustkorbrand und oberen Rand des Weichenwulstes. Die 3. Inscription des geraden Bauchmuskels verläuft durch den Nabel beiderseits in Richtung des Weichenwulstes. Der Bauchnabelkopf wird sichelartig von der Umbilicalfalte eingerahmt. Die absolute Nabelhöhe bleibt bei allen Kuroi etwa gleich hoch über dem Darmbeinkamm bzw. in Hüfthöhe unabhängig von den anderen Profilierungen am Unterkörper.
Im Verlaufe der Entwicklung verändern sich die Proportionen und seien in Kürze folgendermaßen aufgeführt: Das Verhältnis des Kopfes zum Körper beträgt beim Kuros von New York noch 1:5, beim Kuros von Melos 1:6; es wird beim Kurois von Melos extrem 1:8; beim Kroisos 1:8 bis 1:7, fast wie 1:7 beim Lebenden. Die Beckenbreite zur Schulterbreite ist beim Kuros von New York 1:2, beim Kuros von Melos 1 : 2,5: beim Kroisos 1:2,2; während es am lebenden Mitteleuropäer normalerweise 1:1,5 bis 1,2 ist.
Das Abdomen selbst hat einen unter dem Rippenbogen etwas eingesunkenen Oberbauch und unterhalb des Nabels einen leicht vorgewölbten Unterbauch, beide in weicher Fläche ohne weitere Differenzierung einer Muskulatur. Nur die Gravurlinie der Linea alba zwischen Brustbeinspitze und Bauchnabel und seit dem Kuros von Sounion die Inscriptionen des Rectusabdominis beidseits der Linea alba sind Unterteilungen.
Der lange gerade Bauchmuskel, der Rectusabdominis, wird erst beim Kroisos dargestellt. Beim Lebenden bestehen beidseits 3 Inscriptionen, die normaler weise am lebenden nicht sichtbar sind, sondern sich erst beim stark durchtrainierten Mann zeigen. (Bei den Kuroi ist die Anzahl der Inscriptionen verschieden. Die Bauchfläche bzw. der gerade Bauchmuskel wird in mehr oder weniger quadratische Flächen unterteilt. Beim Kuros von Sounion sind es beidseits 4, beim Kuros von Melos 5, (beim Kroisos vom Orchomenos Anavyssos sind es sogar 6 Inscriptionen zwischen Brustbein und Nabel). Erst beim Kroisos aus Anavyssos werden es 3 Inscriptionen, wie es der Wirklichkeit entspricht. Es ist fraglich, ob es eine bildhauerische Eigenart, eine stilistische Tendenz oder Willkür der Bildhauer war.
Wie auch beim Kritiosknaben wird am normalen lebenden Menschen diese Unterteilung des Rectusabdominis nicht sichtbar.
In der frontalen Ansicht hat die Körperkonturlinie einen gleichmäßigen nach innen Konkaven, leicht geschwungenen Verlauf von Thorax (Brustkorb), Hüfte, Becken, Oberschenkelansatz. Dieses ist der Fall bis zur Melos-Volomondra-Gruppe.
Die Darstellung der Leistenbeuge und der weitere Verlauf über den Beckenrand ist interessant: Beim Kuros von New York und Kuros von Sounion (und allen Gleichzeitigen) zieht ein dicker wulstiger Strang im Winkel von 45 von Genitale zum oberen Beckenrand, führt an diesem entlang bis zum Kreuzbein, dort deutlich zum Steißbein abbiegend. Dieser Wulst bildet die untere Begrenzung des Rumpfes. Es zeigen als erster der Kuros von Melos und noch eindeutiger der Kroisos aus Anavyssos die normale Leistenbeuge als Vertiefung zwischen Unterbauch und Oberschenkel prominenz.
Beim Kroisos aus Anavyssos wird zum ersten Mal der typisch werdende Antike Beckenschnitt ausgebildet. Dieser zeigt auch erstmals die Vorderpartie des Obliquus externus, (äußerer schräger Bauchmuskel), des größten Bauchmuskels mit seinen auslaufenden Muskelansätzen an seinem Sehnenblatt (Aponeurose) zum geraden Bauchmuskel. Der Obliquus externus zieht von den unteren Rippenansätzen kommend zum Darmbeinkamm und wird dort als Weiche bezeichnet bzw. als Weichenwulst. Er bildet eben den für die späteren griechischen antiken Standbilder typischen Weichenwulst, der mehr oder weniger den Beckenkamm überdeckt. Auch die Spina iliaca anterior (vordere Beckenspitze), die man am scharfen Knick des antiken Beckenschnittes erkennen kann, wird überlappt.
Die Rippenbogenformen ändern sich vom spitzgotischen zum breit romanischen Bogen. Beim Kuros von New York beträgt der spitze Bogenwinkel ca. 70, beim Kuros von Sounion 100- 110. Beim Kuros von New York und beim Kuros von Sounion besteht fast ein antithetisches Verhalten zwischen Rippenbogen und Schenkeldreieck. Beim Kuros von New York sind es fast rechtwinklige Dreiecke (einmal der Rippenbogen stark abgestuft zum tieferen Oberbauch; zum anderen die Leiste in ihrer Darstellung als Wulst).
Beim Kuros von Sounion ist der Rippenbogen als eine tiefe Cäsur gegen den Oberbauch mit einem Winkel von 110° dargestellt; die Leiste wieder als ein Wulst. Das Leistendreieck hat hier den gleichen Winkel wie der Rippenbogen. am Lebenden beträgt der Rippenbogenwinkel individuell 60 - 90°, das Leistendreieck beim Mann ca. 90°.
Beim Kuros von Melos mit seinen schmalen sehr hohen Rippenbogen, der sich bis an den mittleren Brustmuskelrand in die Höhe der Brustwarzen hochzieht, besteht ein Winkel von knapp 45°. Er hat auch keine Spitze mehr, sondern eine enge Abrundung. Das Schenkeldreieck weist einen Winkel von ca. 90° auf, es besteht also nicht mehr ein antithetischen Verhalten zum Rippenbogen.
Beim Kroisos aus Anavyssos liegt die Form eines breiten, romanischen Rippenbogens vor mit einem Winkel von ca. 160° in einer gleichmäßigen Rundung abfallend bis zur Medioclavicularlinie, in der der Brustkorbrand rechtwinklig nach hinten (dorsal) abbiegt. Am Thorax gibt es noch keine Rippendarstellung; diese findet erst angedeutet beim Kritiosknaben statt.
Das Brustbein ist bei Kuros von New York und beim Kuros von Sounion auch zwischen den Schlüsselbeinen nur als Zäsur eingezeichnet, die weitergeführt wird auf den Bauch als Linea alba bis zum Bauchnabel. Später erst wird der Brustbeinschwertgriff (Manubrium) zwischen den auseinander stehenden Schlüsselbeinköpfchen sichtbar und das Brustbein (Sternum) selbst nicht mehr als Linie sondern flächig zwischen den beiderseitigen Pectoralisansätze liegend. Die untere Grenze des großen Brustmuskels (Pectoralis) ist beim Kuros von Sounion eine gleichmäßigere Rundung sichelförmig nach axillar verlaufend; beim Kuros von New York war der Pectoralis lateral zur Achsel hin kräftiger dicker.
Die durch die Brustdrüse bedingte basale Verdickung ist bei allen Kuroi gleichartig kräftig modelliert. Der Muskel geht bei diesen beiden Kuroi schon direkt an die vordere Achselfalte, aber unterfaßt sie noch nicht. Am gesamten Brustbeinrand, setzt in dessen ganzer Länge der große Brustmuskel (Pectoralis major) fächerartig an. Der Griff des Fächers liegt an der Achselhöhle. Bei Kuros von New York und beim Kuros von Sounion sind die Ansätze am Brustbein scharf linear begrenzt geformt; erst bei den späteren Kuroi werden sie flacher, natürlicher. An den Thoraxseiten sind Profilierungen und Ansätze des Breiten Rückenmuskels (Latissimus dorsi) u. Sägemuskels (Serratus anterior) und Schrägen Rückenmuskels (Obliquus externus) noch nicht erkennbar. Erst am Kritiosknabe ist eine schwache Rippenzeichnung und Darstellung der Muskelansätze an den Brustkorbseiten zu sehen (in der Klassik wird dieses stark ausgeprägt sein).
Der obere Abschluß des Brustkorbs wird durch die Schlüsselbeine begrenzt. Die Gestaltung derselben ist an ihren medialen Enden deutlich verschieden: Beim Kuros von New York treffen sich diese stark nach unten gebogen und verdickt (die Claviculaköpfchen sind also schon angedeutet) . Es liegt nur eine schmale Rinne zwischen ihnen, es gibt noch kein Manubrium (Brustbeingriff). Die Brustbeinmarkierung setzt sich fort auf dem Bauch als Linie alba bis zum Bauchnabel. Die Claviculae selbst sind beim Kuros von New York konvex geschwungen, fast antithetisch zur Konkaven unteren Pectoralisbegrenzung zum Acromion (Rabenschnabelfortsatz) hin werden sie wieder gerade. Beim Kuros von Sounion sind die Schlüsselbeine gerader, nur am medialen Ende leicht nach unten gebogen und schon weiter von einander getrennt, so daß ein Manubrium wohl erkannt ist. Beim Kuros von Melos ist der Abstand noch eindeutiger, die Claviculae leicht gebogen, mit verdickten medialen Enden: an diesen Claviculaköpfchen setzt beim Kuros von Sounion der Strang des Kopfnickers an, der vom Warzenfortsatz des Schädels entspringt. Beim Kuros von New York ist der Ansatz am Schlüsselbein - anatomisch nicht richtig - weiter seitlich; beim Kroisos aus Anavyssos - anatomisch richtig - am Manubriumrand. Die Claviculae sind hier beim Kroisos aus Anavyssos s-förmig geschwungen.
Hals
Die frontale Silhouette des Halses wird durch den oberen Trapeziusrand (Kapuzenmuskel) und den Ansatz des Sternocleidomastoideus (Kopfwender) am Warzenfortsatz geprägt. Der Trapezius bildet die Fläche des Nackens und oberen Rücken- Schulterteils. Bei den Kuroi wird der Nacken weitgehend durch das Kopfhaar verdeckt.
Rücken
Bei allen Kuroi besteht eine starke (BWS) Brustkyphose und eine erhebliche Lenden (LWS) Lordose, der Wirbelsäule bzw. ihrer durch die tiefe Rinne gezeigte Verlaufsform. Die Schulterblätter (Scapulae) werden an den Kuros von New York und Kuros von Sounion nur als Gravur eingezeichnet. Beim Kuros von Sounion ist es ein relativ dünner, gleichmäßig geschwungener Bogen, der zunächst neben der oberen Brustwirbelsäule verlaufend in Höhe des 4. Brustwirbels zur hinteren Achselfalte zieht. Außer der Wirbelsäulenrinne ist dies die einzige Rückenzeichnung. Die Darstellung des Schulterblattes wird beim Kuros von Sounion erreicht durch eine tiefere kräftigere, vom Haaransatz kommende neben der WS laufende Rinne, die in fast rechten Winkel ca. in Höhe des 6. Brustwirbels fast waagerecht in Richtung Achselhöhle zieht und wie eingegraben wirkt. Auch die Scapulae selbst ist hier verstärkt als fast quadratische, leicht erhabene Platte dargestellt, die sich zu Achsel und Schultergelenk hin abflacht.
Der Kuros von Sounion hat außerdem (als einziger Kuros?) drei tiefe schräge Kerben beidseits der unteren BWS und oberen LWS (die einen Brustkorb andeuten könnten) und darunter beidseits der LWS eine tiefe senkrechte Kerbe (die den langen Rückenstrecker, (Erector trunci) darstellen könnte). Die späteren Kuroi haben ein in die Muskulatur eingebettetes Schulterblatt.
Auch noch beim Kroisos aus Anavyssos ist die Rückenprofilierung sparsam ohne plastische Muskeldarstellungen, sondern nur in Form von bogenförmigen flachen Zeichnungen zu erkennen.
Gesäß
Die Glutaei maximi (größte Gesäßmuskeln) werden zunehmend prall ausgebildet. Beim Kuros von New York gehen sie noch flach in den Biceps des Oberschenkels über. Beim Kuros von Sounion ist schon eine Glutealfalte als Abgrenzung zum Biceps des Oberschenkels vorhanden, die ja auch beim Lebenden je nach Stärke des Gesäßes mehr oder weniger intensiv ausgebildet ist.
Oberscheschenkel:
Das Hüftgelenk als solches ist nicht auszumachen, höchstens als die Impression über dem großen Rollhügel des Oberschenkelkopfes (Trochanter Grube) vor dem Gluteus maximus und hinter dem Ansatz des Vastus lateralis (äußerer vorderer Schenkelmuskel). Die Schaftachse des Femur verläuft beim Kuros von New York, Kuros von Sounion und
Kuros von Melos noch senkrecht, sie wird erst beim Kroisos und weiterhin der Wirklichkeit entsprechend (leicht) schräg einwärts verlaufend dargestellt, erkennbar an den Postionsverhältnissen von Hüft- zu Kniegelenk, dadurch daß der Vastus lateralis im
leichten Bogen weiter nach innen zieht und entsprechend die Kniescheibe mit der Patellarsehne des Quadriceps und dem Kniegelenk nach medial verlagert wird.
Erstmals ist beim Kroisos auch die physiologische also normale Abknickung des Unterschenkels im Kniegelenk ausgeführt, wodurch die Schaftachse des Oberschenkels und die Achse des oberen Schienbeins und Wadenbeins einen offenen Winkel bilden. Die Vasti des Quadriceps (die beiden äußeren vorderen Oberschenkelmuskel) werden bis einschließlich des Kuros von Melos nicht differenziert, die Oberschenkel bilden eine kräftige Säule die gleichförmig beim Kuros von New York auf Vorder- und Rückseite ausgebildet ist, beim Kuros von Sounion noch kräftiger geformt, praller mit geringer Konturierung an der Ober- schenkelvorderseite - beim Kuros von Melos wirken die schlankeren langen Oberschenkel besonders steif und von vorn gesehen gleichförmig schlank fast ohne Verjüngung am Hüft- und Kniegelenk. Von der Seite betrachtet zieht der Biceps geradlinig schräg hoch von der Kniekehle zum Gesäß.
Der Fascienspanner (Tensor fasciae latae) an der Außenseite des Oberschenkels wird erstmals beim Kroisos erkennbar.
Knie:
Interessant ist die Formung der Suprapatellarwülste (sie sind die muskulären Enden der Vasti des Quadriceps über der Kniescheibe).
Beim Kuros von New York bestehen zwei gleichgeformte zusammenhängende und symmetrisch angelegte girlandenartige Wülste direkt oberhalb der runden Kniescheibe. Sie verlaufen bis in die Kniekehle. Beim Kuros von Sounion bilden die Vasti am
Kniescheibenrand zwei an ihrem Ende beidseits des oberen Patellarandes voneinander getrennte kräftige, überhängende Muskelwülste, die sich an beiden Seiten der Patella vorwölben. Sie sind am rechten und linken Bein völlig gleich ausgebildet. Beim Kuros von Melos sind die Suprapatellarwülste flacher, sie rahmen als Teile des Quadriceps die Patella seitlich und oben ein.
Beim Kroisos aus Anavyssos ist an beiden Knien nur noch ein medialer Suprapatellarwulst ausgeführt.
Auch die Formen der Kniescheibe werden verändert.: Beim Kuros von New York ist sie fast rund, beim Kuros von Sounion rhombisch, hochrechteckig, oben breiter und im Ganzen stark heraus modelliert. Die Patella ist beim Kuros von Melos wieder runder, weicher. Beim Kroisos aus Anavyssos dagegen scharf profiliert, ein fast runder prominenter Körper.
Der Unterschenkel
Seine Darstellung verändert sich durch die unterschiedlichen Gestaltungen der Schienenbeine (Tibiae), der Wadenmuskeln (Gastrocnemii) und der Fersenbeine (Calcanei). Schon beim Kuros von New York und Kuros von Sounion fällt auf die deutliche
Hervorhebung des Tibiakopfes unterhalb der Patella. Auch das kleinere Wadenbein (Fibula) - Köpfchen ist erkennbar. Beim Kuros von Melos fehlen sie völlig, beim Kroisos aus Anavyssos sind sie kaum auszumachen; beim Kroisos aus Anavyssos auch nicht mehr; höchstens zu vermuten.
Die Tibiakante verläuft beim Kuros von New York gerade, fast senkrecht zur Sprunggelenkmitte, auch beim Kuros von Melos ist die Tibiakante fast gerade. Beim Kuros von Sounion ist sie dagegen im oberen Drittel leicht gebogen, beim Kroisos aus
Anavyssos in einem längeren größeren Schwung: Sie verläuft dann in Richtung Innenknöchel und großer Zeh. Die Waden aus dem Zwillingsmuskel (Gastrocnemii) bilden beim Kuros von New York einen gemeinsamen sich zum Flußgelenk verjüngenden
Schlauch, dessen oberer Teil bauchig als Muskel deutlicher erkennbar ist. Sie enden in einer breiten Achillessehne und einer breiten kantigen Ferse. Schon beim Kuros von Sounion werden die beiden Muskelbäuche des zweiköpfigen Wadenmuskels
(Gastrocnemius) voneinander abgesetzt und stärker nach lateral und medial profiliert. Sogar beim überschlanken Kuros von Melos bleibt das deutlich. Besonders stark wird die Wade herausgearbeitet beim muskulösen Kroisos aus Anavyssos, hier vor allem der mediale Gastrocnemis. Beim Kroisos werden Achillessehne und Ferse und Sprunggelenk natürlicher, d. h. auch viel schlanker und gestalteter; ein starker Kontrast zu den dicken Wadenmuskeln, den kräftigen Oberschenkeln und dem massigen Rumpf.
Die Füße
sind beim Kuros von New York und Kuros von Sounion plump mit breitem Vorderfuß, (großer Zeh viel länger), setzen plan auf, wenn auch beim Kuros von Sounion ein Fußgewölbe medial angedeutet ist. Die Zehen beim Kuros von New York liegen parallel
gerade in einer Linie, im Mittelgelenk kaum gebeugt und nicht weiter differenziert. Sie wirken nicht belastet. Seit dem Kuros von Sounion werden die Zehen in den Mittelgelenken mehr gebeugt und die Zehnglieder deutlicher geformt. Die Zehenspitzen
liegen nicht mehr in einer Linie, sondern in der Schrägen, stärker mit den Zehenballen aufgesetzt, als ob sie das Stehen mit stabilisieren müßten. Die Füße werden jetzt offensichtlich stärker belastet. Der mediale Knöchel liegt der Wirklichkeit entsprechend höher und weiter hinten.
Die Arme
hängen locker herab, in den Ellenbogen leicht gebeugt. Die Hände sind leicht gefäustet. Der Deltamuskel ist beim Kuros von New York sehr flach, beim Kuros von Sounion deutlich gewölbt. Er geht kontinuierlich in den Trapezius (Kapuzenmuskel) über und wird zum Biceps und zur Schulter wenig abgegrenzt. Die Oberarme werden in einer Pronationshaltung gezeigt. Der Biceps des Oberarmes ist beim Kuros von New York ausgeprägt, die Rückseite dagegen flach. Die Ellenbeuge ist durch die Ansätze des Daumens- und Handbeugers gut dargestellt, quasi eingerahmt. Die Ellenbogenspitze wird stark markiert besonders am Kuros von New York, bei dem diese girlandenförmig hochbogig umrandet wird.
Die bei dieser Armhaltung in Wirklichkeit nicht mögliche Supination der Unterarme zu sehen am Beispiel des Kuros von New York und des Kuros von Sounion, deren Muskeln deutlicher differenziert sind, ist (typisch) charakteristisch für alle Kuroi. Daumenbeuger und medialer Handbeugemuskel am Unterarm, im oberen Drittel auch der ulnare Beuger (auf der Kleinfingerseite) entlang der Speiche (ulnar) sind sichtbar. Beim Kuros von Melos ist die Supination des Unterarmes weniger extrem, eine Mittelstellung wird eingenommen.
Bei allen Kuroi haben die Hände, die mit ihren Handflächen bzw. den gebeugten Fingern am Oberschenkel liegen, auch eine Mittelstellung zwischen Pro und Supination.
Beim Kuros von New York wird viel ins Ornamentale umgesetzt. Es bestehen noch fast unabhängige Einzelformen oder blockartige Gruppen (wie im Orientalischen) in einem Mit- und zueinander.
Kopf
Eine Besprechung des Kopfes wurde bewußt an das Ende der Ausführungen über die Anatomie des Körpers der Kuroi gesetzt: Der Kopf betont die geistige Haltung, den menschlich- übermenschlichen Ausdruck der Schrittposition. Seine Anatomischen Besonderheiten und seine Unwirklichkeit überhöhen die Wirkung des verhaltenen Schreitens. Die Anfangs fast dreieckige Form des Kopfes mit stumpfen Kinnwinkel und breiter hoher Stirn (z. B. beim Kuros von New York und beim Kuros von Melos) und der zu erst starre bzw. ernste (Kuros von New York), später mehr versonnene (Kuros von Melos) Gesichtsausdruck mit seinem archaischen Lächeln wird nach dem Kroisos aus Anavyssos und in seiner gesamten Physiognomie der Wirklichkeit eines menschlichen Gesichtes angepaßter.
Die ursprünglich geraden Lippen werden gewölbter mit etwas überstehender Oberlippe, die Lippenwinkel etwas nach oben verzogen. Die Nasolabialfalte wird seit dem Kuros von Melos betont, fast als Falte heraus gearbeitet. Der Übergang von den Wangen zu den Lippen war vorher weich und fließend (Kuros von Sounion). Das Kinn ist relativ flach, vorspringend auch etwas spitz. Es wird beim Kroisos aus Anavyssos kräftiger und breiter mit Kinngrübchen und bleibt markant. Die zunächst stark ornamental stilisierten und flach angelegten übergroßen Ohren haben einen Knopfähnlichen Dragus aber noch keinen Antidragus ( diesen sehen wir erst beim Kroisos aus Anavyssos)
Augen
Die großen starren Augen sind flach, die Augäpfel werden erst gewölbter nach dem Kuros von Melos, ebenso Einzelheiten der Augenlider.
Wie aufgezeigt werden konnte, löst diese Strenge sich allmählich auf, und es entsteht mehr und mehr eine funktionelle Gestaltung. Naturgetreuere Haltung und Bewegungsrhythmus sind die Folge. und wird zunehmend realistischer über die
Anavyssos-Ptoongruppe bishin zum Kritiosknaben, bei dem im Kontrapost der Körperstellungen die bis heute gültige Ausgewogenheit erreicht wurde. Hier zum ersten mal verwirklicht, bleibt der Kontrapost auch heute noch in der bildenden Kunst, dem Schaffen des Bildhauers maßgeblich und unverzichtbar für das Empfinden des Betrachters. Der Kontrapost wird zurecht als griechische Erfindung bezeichnet.
Literatur:
Boardmann, John Griechische Plastik
Die archaische Zeit,
Mainz 94
Buschor Vom Sinn der griechischen Standbilder
Geb. Mann 1978
Frühgriechische Jünglinge
München 1950
Fuchs, Werner Die Skulptur der Griechen
Hürmer 1993
Hautumm, Wolfgang: Die griechische Skulptur
Dumont 1987
Hafner: Geschichte der griechischen Kunst
Atlantis 1961
Hömann Wedekind: Archaisches Griechenland
Kunst der Welt
Holle Verlag 1966
Lullies / Hirmer: Griechische Plastik
München Hiermer 1960
W. Martini Die archaische Plastik der Griechen
Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1990
G.M.A. Richter Developemt of the Greek Kuroi
New York 1942
Spengler, Oswald: Der Untergang des Abendlandes
Beck 1923/1990